13.08.2004

c/o pop [<-] (mem)

VJ-Symposium (Rheinterrassen)

Teinehmer:
4YOUREYE
Kulturaktivisten, VJ_TEAM
Nik Lisak, EVENTMANAGER
Robert Rose, PROFESSOR FÜR BEWEGTBILD FACHHOCHSCHULE AUGSBURG UND KÖLN
Hans Nieswandt, DJ / AUTOR
Stefan Faber, MUSIKREDAKTEUR VIVA

Freitag um 15 Uhr Nachmittag: Ich sitze auf den Reihenterrasen beim Tanzbrunnen. Hip gekleidete Leute aus der Szene für elektronische Pop-Musik umgeben mich. Ich beobachte mehrfach wie sich kleine Grüppchen zusammensetzen und schwarze Mappen aufschlagen. Hier werden Geschäfte gemacht. Andere meist, weniger auffällig gekleidete Gestalten mit großen schweren Taschen wirken ehr introvertiert. Das sind wahrscheinlich VJ aus Köln und Umgebung, denke ich mir. Bei ihnen geht es hier nicht um Geschäfte. Das Feld der Visuals muss sich erst einmal als ein vollwertiger Bestanteil der Pop-Kultur etablieren, bevor damit viel Geld verdient werden kann. Ich hoffe zu erfahren welche Wege hierzu nun eingeschlagen werden.

Der Tagungsraum ist nüchtern: Stuhlreihen, Podium Mikrofonanlage. Der anwesende Videoprojektor bleibt ungenutzt. Es wirkt etwas befremdlich, in so einer unsinnlichen Umgebung über Visuals zu sprechen, doch die Diskussion kommt schnell und lebhaft in Gang. Die Stimmung war zu Beginn sehr negativ – weil Alle erstmal ein Klagelied anstimmten – wurde dann jedoch wesentlich besser. Es wurden viele Gedanken rund um das Thema VJ, die mir bereits vor fünf Jahren durch den Kopf gingen, als ich selbst mal mit Visuals auftrat, angesprochen. Das war mir sehr sympathisch, doch leider sah ich, dass man in den letzten Jahren nur sehr wenig weiter gekommen ist. Es gibt nun Clubs in denen VJs fest installiert sind, es gibt inzwischen brauchbare Technik und es haben sich Label gebildet, die an einer besseren Vermarktung arbeiten. Doch die Grundsätzlichen Fragen, wozu man Visuals überhaupt braucht und wie sie aussehen sollten, blieben offen.

„Das VJing wurde in Weimar [<-] erfunden“ dort gibt es auch die erste Stelle, an der man das „Live Visual Performen“ studieren kann. Es war zunächst in den Clubs zu finden. Doch dort gibt es viele Probleme für die VJ-Kultur. Die Videobilder lenken von den Tanzenden ab und können die Atmosphäre zerstören. Sie sind überflüssig, da es um die Musik geht und werden nicht zu letzt deshalb auch materiell stiefmütterlich behandelt. Eine Unterstützung durch Licht Jockeys und Deko reicht vollkommen aus. Die zusätzliche Bilderflut der Videos führt nur zu einem geschmacklosen Over Kill. Mit diesen und ähnlichen Argument kam die Diskussion schnell zu dem Ergebnis, dass die VJs nicht nur endlich nach einer besseren Bezeichnung suchen – das „VJ“ ist einfach viel zu dicht an „DJ“ – sie müssen auch neue Plattformen finden. Sie müssen ihr eigenes Publikum produzieren, da es nicht funktionieren kann sich an das Publikum von DJ anzuhängen. Mehrfach wurde provokant in den Raum gestellt: „VJs gehören in die Museen“.

Dann wurden viele positive Erfahrungen in Konzertsituationen geschildert. Wenn die Zuschauer so wie so nicht sich gegenseitig ansehen, sondern alle Augen auf die Bühne gerichtet sind, sind die Visuals dort besser platziert. Grade bei live gespielter elektronischer Musik entsteht oft das Problem, dass es bei den Musikern wenig zu beobachten gibt, wenn sie Hinter ihren Laptops sitzen oder an kleinen Reglern drehen. Hier kann der VJ quasi in die Lücke springen und dafür sorgen, dass das Live-Erlebnis optisch interessant bleibt. Weitere Vorteile der Konzert-Plattform sind, die vorhandenen Budgets und die optimale Möglichkeiten zur Kooperation mit der Musik bzw. den Musikern. Grade diese Symbiose aus Sound und Video wurde immer wieder in dem Symposium geradezu beschworen. Video Jockeys, die mit Musikgruppen auf Turne gehen, können sich natürlich besonders intensiv (inhaltlich wie emotional) auf die Musik einlassen und es fällt leichter technische Kopplungen zum Beispiel über Midi-Daten zu realisieren. Allerdings ist auch zu beobachten, dass die VJs bei Konzerten unter dem Druck stehen eine perfekte Show abliefern zu müssen. Sie arbeiten daher hauptsächlich mit vorgefertigten „Partituren“, bei denen der Live-Aspekt zu kurz kommt.

Auf der Suche nach der geeigneten Plattform ging es am meisten um Experimente, die in das heimische Wohnzimmer führen. Mehrere VJ-Lables versuchen sich zurzeit an VJ-Musik-DC bzw. DVD-Projekten. Das heißt, eine Musik CD wird nicht Song für Song mit einem aufwendigen Video-Clip Visualisiert, sonder ein VJ spielt mehr oder weniger in einer Session eine Videoaufzeichnung zu einer CD ein und die CD erscheint dann als DVD. Der Konsument kann sich diese DVD entweder wie gehabt nur anhören, hat aber noch zusätzlich die Option den Fernseher anzuschalten. Auch hier macht sich die VJ-Kultur zum Anhängsel der Musikindustrie anstatt wirklich eigene Wege zu gehen, doch was den Video Jockeys daran schmeckt ist, dass sie in diesem Rahmen auf einen konzentrierten Betrachter hoffen können.

Das Symposium gab mit zahlreichen Randbemerkungen und Beispielen einen groben Überblick über die Szene. Als hervorragende Beispiele wurden Coult Cut und Underworld genannt. Coult Cut als die Vorreiter, die als erste Band den VJ zum festen Bandmitglied machten und die durch das Sampeln und Kollagieren von Audio wie Video wie keine andere Band künstlerisch, gestalterisch wie auch technisch eine Einheit aus Musik und Bild mit großem Erfolg produzierten. Bei Underworld war die Rede davon, dass die tollen Visuals von Tomato die Band mehr gepuscht hätten als die Musik. In Berlin soll wohl besonders ein Flash lasstiger Stil geprägt werden. In Wien arbeitet man dagegen mehr filmisch. In Berlin wurde Visomat, in Köln Licht Sport als die Lokalmatadoren genannt. Wichtig sind auch die wenigen Clubs, die Visuels unterstützen. Besonders der Cocoon Club [<-] in Frankfurt am Main wurde als die Referenz genannt, bei der man versucht das Cooperat Design, die Innenarchitektur, Deko und Visuals in einem Gesamtkonzept zu vereinen.

Im Laufe der Diskussion war die Stimmung zu Anfang so negativ, dass sie das Gefühl vermittelt, die Videojockeys werden auf lang oder kurz in den Clubs aussterben, und ob sie eine neue Plattform finden ist fraglich. Doch dann wurden Alle zunehmend optimistischer ohne dass tatsächlich Argumente dazu genannt wurden. Den Teilnehmern viel selbst auf, das sie immer wieder auf den Club zurückkamen. Keine konnte sich diese Anziehung zwischen Club-Kultur und VJ-Kultur so recht erklären. Und es war auch Allen bewusst, wie viele Fragen über den Köpfen der VJ kreisen und wie wage die wenigen Vorstellungen sind, auf die sich die Kultur rund um die Live-Visuals stützt. Unsicherheit gab es zum Beispiel auf der Suche nach Stilrichtungen. Da lehnt man sich zum einen wieder an die Musik an. Spricht von Haus, Techno, Twostepp, Hip Hopp… Zum anderen findet man Unterscheidungen in der Technik, in dem man sagt, die sind auf 3D spezialisiert, die auf Cutting, die auf Effekte. Doch grade für eine inhaltliche oder ästhetische Orientierung fehlen nicht nur die Vorstellungen und Ideen sondern ganz grundlegend überhaupt erstmal ein Vokabular. Um das zu verdeutlichen wurden so hilflose Beschreibungen, wie: „da sind lauter so bunte Blümchen“, oder „da ist alles so braun in braun“ oder „da fließt es und da springt es“ genannt. Es leuchtet ein, das so eine junge Bewegung einfach noch Zeit bracht um sich zu entwickeln. Die Antworten werden kommen.

Auf der Suche nach Zukunftsvisionen für die VJs war es immer wieder verblüffend, wie wenig entwickelt die Erkenntnisse und Konzepte sind und wie aufwändig und abgefahren dagegen all die Experimente sind, die bereits schon realisiert wurden. Da scheint es nichts zu geben was nicht schon mal probiert wurde. Es gibt zum Beispiel Kameras um die Bewegungen der Tänzer zu traken, die auf diese Weise die Videoeffekte spielerisch steuern. Oder es wurde von Partys berichtet, die via Livestream mit einem DJ- und VJ-Set Weltweit gleichzeitig gefeiert wurden. Was die Szene lebendig hält sind die vielen kleinen einfachen Ideen auf die noch keiner gekommen ist und die Inhaltlich vielleicht weiterdenken als irgendwelche Spektakel. So gewann ein italienischer Videojockey einen VJ-Wettbewerb, indem er eine Kamera hinter einem Aquarium montierte und zur Musik Farbe in das Wasser goss. Ein anderer VJ wurde zum Publikumsliebling, indem er von der Tanzfläche aus mit einem Joystick seine Visuals steuerte.

Die Technik – als erste große Hürde der Video Jockeys – scheint in den letzten drei, vier Jahren im Bereich des Pal-Video-Standarts keine Wünsche mehr offen zu lassen. Selbst auf normalen relativ preiswerten Laptops mit 40 G Festplatten lassen sich riesige Archive von Videoloops anlegen. Es entstehen ständig neue ausgereifte Programme, mit denen man in Echtzeit auf jedes Video zugreifen kann, um es live im Rechner zu mixen und mit Effekten zu verfremden. Die Herausforderung liegt hier zukünftig in größeren Bildformarten wie HDDV bis hin zu Multi-Canal und Souround-Bild-Projecktionen. Erwähnt wurde auch ein neuartiger DVD-Player von Pionier mit Video-Scratch-Funktion.

Nach all den kritischen Fragen nach, Kunst oder Dekoration, nach Kommerz oder Experiment, nach Freiheit und Beliebigkeit und dem Frust über den Aufwand und die geringe Bezahlung berichteten einzelne anwesenden Vjs mehrfach von den Glücksmomenten. Wenn alles stimmt: die Musik, der Raum, die Leinwand, das Publikum und die Videos, dann kann es zu den Situationen kommen, in denen der Video Jockey erlebt, wie die Tanzenden mit Jubel auf seinen Wechsel reagieren. Und er spürt wie er fasenweise den DJ mit anheizt. Letzten Endes wurde schon der Versuch unternommen, gewisse Kriterien zu beschreiben, die einen guten VJ auszeichnen, auch wenn sich diese noch nicht klar benennen lassen. Die Videos sollten nicht beliebig sein. Die Visuals sollten sich auch zurücknehmen können. Sie sollten möglicht gut auf die Musik eingehen ohne dabei all zu bemühte eins-zu-eins-Beziehungen aufzubauen. Es geht also nicht um eine Inhaltliche Interpretation der Musik wie im Videoclip und auch alle die Experimente, zum Beispiel einem Ton eine Farbe zuzuordnen wurden als Sackgasse erkannt. Die Qualitäten des Vjs werden in seinem Gefühl für den Raum, die Musik, das Publikum und seinen Assoziationen in den Videos gesehen. Man bewegt sich also im Bereich der Stimmungen und Atmosphären, den viel zitierten Vibrations die eine Party ausmachen. Wobei noch Keiner ausloten konnte welchen Einfluss zwischen Sound und Lightshow da die Visuals auf den Flow einer Feier haben, doch genau um ein erfühlen und ein gekonntes Spielen mit diesem Einfluss scheint es anzukommen. So kam es zu dem pointierten Statement, die Visuals sollten unsichtbar sein aber eine Message vermitteln und die Message sollte Liebe sein.

Dann gab es noch eine Diskussion über das Phänomen, das den Video Jockeys immer wieder Logos von den Veranstaltern, Labels oder Sponsoren zugesteckt werden, mit der Bitte sie einzubauen ohne sie zu entfremden.

Es gab das übliche Gerede über die Vernetzung und Kooperation der VJs untereinander. Es wurde eine Lanze für Dia- und Super-8-Film-Projecktoren gebrochen.

Am Ende stand die nüchterne Erkenntnis, dass es in einem Club hauptsächlich ums „Aufreißen“ geht. Das viele Grafik-Designer sich als VJ in die Clubs stellen um an Sex und Drogen zu kommen. Dabei kamen Ideen auf, wie man diese Triebe unterstützen könnte. Eine interaktive VJ-Steuerung könnte als Kontaktpunkt für eine Anmache dienen. Die Visuals könnte die Selbstdarstellung der Tänzer unterstützen.

Ich vermisse in dem gesamten Symposium das Wort „Konzept“. Für mich sind es die Konzepte, die einen Video Jockey ausmachen. Allem voran sein Konzept zum Umgang mit den bewegten Bildern. Diese Konzepte werden in einem wesentlichen Maße von der Technik bestimmt. Jede VJ-Soft bzw. –Hardware beinhaltet ein Konzept für das Aufnehmen, Speichern, Sortieren und Abspielen der Videos. Innerhalb dieser Vorgaben der Technik bleibt dem Performer nur ein begrenzter Spielraum. Mir sind daher Jene sympathisch, die ihre eigenen kleinen Programme schreiben, die allein schon durch ihre Unzulänglichkeiten einen Charakter entwickeln. Weitere spannende Fragen sind für mich, die Suche nach Konzepten für die Produktion eines eignen Publikums und nach der Interaktion mit dem Publikum. Der VJ ist in meinen Augen nicht jemand der wie der Dj im Laufe eines Abends eine „Geschichte erzählt“ und damit unterhält. Er stellt ein Konzept zum Umgang mit der täglichen Bilderflut in den Raum. Dies geschieht mit seiner Hard und Software und in seinen Handlungen. Er bietet Strategien zu einer subversiven Nutzung der Bildmedien an, indem er sie vorführt. Unter dieser Perspektive liegt es nahe, diese VJ-Strategien und Mechanismen dem Publikum auch über Interaktion in die Hand zu geben.

Das Publikum von Video Jockeys wird in seinem Alltag permanent im Internet, in Printmedien, im Fernsehen und beim Einkaufen mit Bildern regelrecht zugeschüttet. Dann geht es zudem noch gerne ins Kino und knipst selbst aus allen Lebenslagen mit der Digitalkamera oder dem Handy. Es ist nur zugute verständlich, dass man sich nach einem Ort sehnt der nicht von Bilder dominiert wird, und das ist dann Samstagabend beim Ausspannen und Feiern im Club. Doch es ist fraglich, ob das so funktioniert. Können wir beim Betreten eines Clubs plötzlich all die Bilder, die wir die ganze Woche über konsumiert haben plötzlich vergessen? Entfalten diese Bilder nicht in dem Moment, in dem das Licht schummrig wird und die Musik angeht ihre volle Wirkung? Wie verhält es sich zum Beispiel mit dem Schönheitsideal, wenn uns jemand auf der Tanzfläche gefällt? Brauchen wir nicht genau in diesem Moment eine VJ der uns die „aktuelle Klaudia Schiffer“ mal so richtig auf dem Big-Screen zersägt?

Meiner Meinung nach können Clubs gute Laborräume für Video Jockeys sein. Dort kommt es regelmäßig zu einem Feet Bag, zu einem Austausch mit dem Publikum, mit DJs und mit anderen VJs. Gleichzeitig bietet sich genug Freiraum für Experimente, da es dort nicht so darauf ankommt. Ein missglückter Part zerstört hier nicht gleich die ganze Stimmung, man kann ja einfach weggucken. Die Ergebnisse dieser experimentellen Arbeit können dann bei Konzerten gezeigt werden und auf DVDs ihre Vermarktung finden. Der Optimale Weg wäre es jedoch, wenn die VJs dort ansetzen würden, wo wir täglich mit der Bilderflut konfrontiert werden. Wie wäre es mit einer VJ-Fernbedienung für den Fernseher, einem VJ-Internetbrouser, einem VJ-Einkaufswagen oder einer VJ-Fotosoftware für meine privaten Aufnahmen?

Dr. VJ gibt uns das Rezept, damit wir auf der Bilderflut surfen anstatt in ihr unterzugehen.

Olaf Val


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